Weite Prärien, bunter Federkopfschmuck und wilde Kriegsbemalung – wer denkt beim Wort Indianer nicht daran? Es geht aber auch anders, denn Amerika ist ein riesiges Land in dem es überall Indianer gab und noch immer gibt – und jeder Stamm hat seine eigene vielfältige Kultur. Die Tradition zeigt das Bild des edlen Wilden. Dieser lebte nach der Theorie Rousseaus immer noch im Naturzustand der Menschheit und erinnert an die Anfänge der menschlichen Geschichte. Das Leben in der Natur war frei, unverdorben und selbstbestimmt und sie mussten keiner staatlichen Autorität gehorchen. Er war dadurch im positiven Sinne glücklicher und auch menschlicher als die „zivilisationskranken“ Europäer. Sie hatten vor niemandem Angst und wenn die Weißen ihnen Neues zeigten, saßen die Indianer wie Kinder da und staunten.
Heute sind nur noch zwei Prozent der US-Amerikaner indianischen Ursprungs. Ihnen sind nur wenige Reservate geblieben, die oft auf unfruchtbarem Gebiet liegen. In den Reservaten ist jedoch noch viel der indianischen Kultur und vom Wissen über Schwangerschaft und Geburtsrituale lebendig geblieben. „Die Babys waren kleine Sterne aus dem Reich der Seelen und als sie zum ersten Mal auf die Erde kamen, kamen sie aus dem Himmel und hatten keine Namen“ (Osage-Indianer)Kachina-Puppen dienen bei den Hopi dazu, die Fruchtbarkeit zu gewährleisten. Der Vater als Beschützer der Fruchtbarkeit seiner Tochter, macht sie ihr zum Geschenk, denn der Stimulierung von Fruchtbarkeit kommt im Lebenslauf eines Hopi zentrale Bedeutung zu. Die brasilianischen Tapirape-Indianer glauben, dass die Geisterkinder sich ihren Gastmutterleib sehr sorgfältig aussuchen – so, als ob jede Mutter und ihr Kind seit jeher füreinander bestimmt wären. Wenn „der Mond verschwindet“, wie die Frauen der Mexteca-Indianer in Südmexiko sagen, vermuten sie, daß sie schwanger sind und die mexikanischen Seri-Indianer gehen davon aus, daß Kinder in den letzten Monaten der Schwangerschaft ruhig im Bauch hocken – mit der Plazenta im Schoß.
Die Schwangerschaft – Die 10 Monde
Die indianischen Frauen halten viel von Massage und Körperpflege während der „10 Monde“. Der Körper wird unter anderem mit duftenden Ölen eingerieben und hingebungsvoll gepflegt. Nordamerikanische Indianerfrauen reiben zu diesem Zweck gekochte Gummibaumblätter auf Bauch und Rücken, der glitschige Saft soll die Haut geschmeidig machen und Schwangerschaftsstreifen verhindern. Die alten Azteken verließen sich auf den therapeutischen Effekt von Bädern und Schwitzbädern – sie wurden werdenden wie frischgebackenen Müttern empfohlen. Weil die Region des Dammes – das Perineum – äußerst gespannt wird, wenn der Kopf des Kindes bei der Geburt hinausdrängt, achteten die Frauen der Mayas besonders auf diese Stelle. Sie erzielten die Geschmeidigkeit des Dammes mit dem Saft der Blätter des Birnenkaktus. Bei den Indianern in Nordamerika wird das Wissen über Geburt und Mutterschaft neben Geschenken für das Kind bei der sogenannten „Kind-Dusche“ weitergegeben, die in den letzten Schwangerschaftsmonaten von Freundinnen der Schwangeren arrangiert wird.
Sex in der Schwangerschaft
Die Tapirape-Indianer vom Amazonas glauben, daß sich der Samen mehrerer Männer im Leib einer Frau zu Gunsten der Entwicklung des Kindes auswirken kann. So kommt es, das die Kinder in ihren ersten Lebensjahren bis zu drei Väter kennen lernen. Doch wie wird der Mann in die Schwangerschaft mit einbezogen? Bei einigen Stämmen in Südamerika muss sich der werdende Vater während der Schwangerschaft der Partnerin an eine überaus strenge Diät halten. Der werdende Vater wird als eine Person im Zustand der Veränderung gesehen, dessen Einbeziehung von entscheidender Bedeutung für die gesunde Weiterentwicklung des Fötus ist. Zum Beispiel schläft er so oft wie möglich mit der werdenden Mutter, um das Wachstum des ungeborenen Babys zu fördern und versorgt sie mit allen Nahrungsmitteln, nach denen es sie gelüstet. Bei den Jivaros in Equador ist es genau umgekehrt. Hier ruhen sich die werdenden Väter zu Hause aus, verhätscheln und verwöhnen sich selbst, halten aber ebenfalls Diät.
Die Geburt
Wenn die Wehen beginnen, lassen die Indianerfrauen im Südwesten der USA Steine fallen, um sie zu zählen. Wenn der Zeitraum zwischen den Wehen nur noch sechs Atemzüge ausmacht, beginnen die Geburtswehen. Die erste Wehe, die stark und eindeutig sein kann, sehen die Arapesh in Papua Neuguinea als ein Zeichen dafür, daß sich das Kind im Leib dreht und es endlich von seinem langen Schlaf in der Gebärmutter erwacht. Die Navajo-Indianer erleichtern der Frau die Einstimmung in den Wehenrhythmus mit Musik und sanfter Bewegung und die Indianerfrauen im Hochland von Guatemala werden meist von der Hebamme in einem Dampfbad massiert. Einige gebären ihre Kinder dort aufgrund der extremen Entspannung unverhofft schnell. Verschiedene Indianerstämme bereiten einen Umschlag aus warmer Erde für den Mutterleib, dessen Wirkung man mit der einer Wärmeflasche vergleichen kann. Viele Männer möchten den Geburtsschmerz ihrer Frau teilen. So bringen sich brasilianische Indianer selbst blutige Wunden während des Geburtsvorganges bei. Bei den Huichol-Indianern saß der Vater während der Geburt im Dachgebälk der Geburtshütte seiner Frau und hatte ein Seil um seine Hoden geschlungen. Wenn die Frau den Wehenschmerz fühlte, zog sie an dem Seil, damit auch er den Schmerz empfand, der das neue Leben bringen sollte. Sie kann drei oder vier Tage in den Wehen liegen, bevor sie eine besondere „Kräutermedizin für die Geburt“ erhält. Zentral- und südamerikanische Indianerstämme verfügen über eine große Anzahl natürlicher Arzneien für Schwangerschaft und Geburt, einschließlich solcher Pflanzen, die die Produktion des weiblichen Hormons Oxytocin, der natürlich vorkommenden Art von Pitocin, stimulieren. Zur Beschleunigung einer langwierigen und schwierigen Geburt, schlagen Hebammen der Mutter zwei rohe Eier in den Mund um durch Erbrechen Druck durch das Zwerchfell auf die Gebärmutter auszuüben, die wiederum das Kind nach außen treibt.
Geburtsstellungen
Außer dem weit verbreiteten Hocken oder Knien sind noch viele andere Stellungen bei der Geburt üblich. Die brasilianische Tapirape-Frau legt sich zur Geburt in eine Hängematte und lässt die Beine über den Rand baumeln. Ihr Rücken wird dabei in einer sanften C-Stellung gewiegt. Wenn die Presswehen beginnen, wird ein Schlitz in die Hängematte geschnitten, durch den das Kind geholt wird. Zuni-Frauen hingegen brachten ihre Kinder auf der Seite liegen, mit dem Gesicht zur Hebamme zur Welt. Bei jeder Wehe presste der Gebärenden eine Helferin den Handballen in den unteren Rückenbereich. Der Gegendruck mindert so den Rückenschmerz bei der Geburt. Wenn eine Frau ihr Kind hockend zur Welt bringt, kann sie es bei der Geburt direkt sehen und muß nicht erst fragen, ob es ein Mädchen oder ein Junge – ein „bow“ oder eine „sifter“, wie die Cherokee sagen – ist. Die Mutter kann das Kind in ihre Hände nehmen, wenn es aus ihrem Körper schlüpft oder kann es in den warmen Sand, auf trockenes Laub oder eine Borkenmatte betten.
Die Erde ist unsere Mutter – nach der Geburt
Die Osage-Indianer glauben, daß der erste Schrei des Neugeborenen das Gebet an die Sonne und an die Mondfrau ist. Den Erzählungen nach hat es das Gebet gelernt, bevor es vom Himmel auf die Erde kam. Laut den Indianern sind Neugeborene auf dieser Welt noch nicht ganz zu Hause. Das Kind muß seine Entwicklung außerhalb der Mutter vollenden und dazu braucht es Schutz, Wärme und vor allem Berührungen im Morgengrauen seiner Existenz. Die Babys werden zeremoniell mit Wasser gesalbt, was eine Widmung des Kindes an die Erde bedeutet. Die Indianerfrauen bleiben zum Schutz ihres Kindes noch ein paar Tage in einer dunklen, warmen Hütte, da sie annehmen, das ihre Kinder für das grelle Licht und die lauten Geräusche der Außenwelt noch nicht bereit sind. So versuchen Sie auf ihre Weise, ihre Kinder schonend auf das Leben das sie erwartet, vorzubereiten.